Gastbeitrag von Niklas Washausen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik/Amerikanistik, Universität Greifswald und Lehrstuhl für Kunstpädagogik & -didaktik, Universität Potsdam.
Wie kann ein kritisch-sensibler Umgang mit Daten und aktuelle Herausforderungen des digitalen Raumes im Kontext des Englischunterrichtes thematisiert werden? Wie können SchülerInnen für die Bewusstmachung der Allgegenwärtigkeit von Daten, Datenbewegungen und dem reflektierten Angeben und Erhalten von Daten befähigt werden? Welche Chancen und Herausforderungen bestehen im „datenaufgeladenen“ Berufsalltag einer Lehrkraft? Diese und weitere Fragestellungen vertraten zentrale Themen in einem Fachdidaktik-Seminar welches ich mit Lehramtsstudierenden des Faches Englisch (Gymnasien/Regionale Schule) im Sommersemester 2024 durchführte. Als jemand der mit großem Interesse Diskurse der Digitalität und Digitalisierung verfolgt, aber definitiv kein IT-Experte ist, verstand ich dieses Seminar als ein Experiment, in dem Studierende und der Lehrende gleichermaßen lernen und Wissensbestände erweitern. Nach einer kurzen Internetrecherche stieß ich relativ schnell auf UNBLACK THE BOX. Nachdem ich eine Mailanfrage an die Initiative schickte, bekam ich auch prompt eine positive interessierte Rückmeldung und freute mich, mein Seminar mit einschlägiger Expertise ausstatten zu können!
So hatte dieses Seminar das Ziel, Brücken zu Disziplinen und Diskursen zu schlagen, die bei erster Begegnung vermeintlich weniger mit den Vorstellungen einer Englischlehrkraft der Studierenden zu tun haben.
Auf Tuchfühlung
Als Aufhänger und einleitender Impuls sollte ein Nachrichtenartikel des Schweizer Magazins „Das Netz ist politisch“ für Tech-Journalismus dienen, der berichtete, wie ein OpenSource-Team um Andres Freund über Ostern 2024 eine milliardenschwere Server-Sicherheitslücke verhinderte. Dabei ging es weniger um die Begrifflichkeiten als vielmehr um den Fakt, welche Abhängigkeiten und Wertigkeiten Daten mittlerweile zugesprochen werden.
Im Anschluss ging es darum, das Forschungsfeld um Daten, Datenbildung und Datenkompetenz abzustecken. Hierbei wurden sowohl über die Prinzipien der Critical Data Studies diskutiert als auch paradoxe Eigenschaften von Daten herausgearbeitet. Dies erforderte mitunter ein Umdenken bzw. auch ein Verlernen bei den Studierenden, um offen und unvoreingenommen ins Feld einzudringen und erste assoziative Bezüge zur späteren Profession herzustellen. Nachdem die Studierenden ein einwöchiges Daten-Tagebuch führten, um den Blick auf eine datafizierte Welt zu schärfen, skizzierte UBTB-Mitglied Dr. Ina Sander im ersten Gastvortrag die Einflussnahme von Daten im Zuge von Machtverschiebungen durch bspw. private Firmen (Big Data), und klärte über die Problematik der Selbstaufklärung und -anpassung des digitalen Nutzerverhaltens auf. Als Maßnahme offerierte sie den Leitfaden für kritische Datenbildung, welcher speziell das Vermitteln von Wissen über Daten, sowie das Finden und Erstellen von Bildungsressourcen über Datenbildung thematisiert. Wie dann eine kritisch-reflexive Haltung ggü. Datendiskursen bei Lernenden aufgebaut werden kann, zeigte uns UBTB-Mitglied Annika Gramoll mit dem selbstentwickelten Escape-Room Game General Solutions. Mit ihr besprachen wir Fragen der authentischen Anwendung und Implementation der Förderung von Critical Data Literacy sowie digitaler Mündigkeit im und vor allem außerhalb des Klassenzimmers in projektbasierten Lernsettings.
Weitere benachbarte Themenkomplexe wie:
- Aspekte des Vertrauens und Irrtums im digitalen Raum (z.B. How to spot when news is fake Kompass des European Parliamentary Research Service)
- Analyse von Deepfake-Videos mittels eines eigenen Videos in dem ich eine ungelernte Sprache spreche
- Gastvorträge zum Datenlebenszyklus (Dr. Fabian Schmitt & Wiebke Kartheus)
- Möglichkeiten der selbstständigen und schülergetriebenen Datenerhebung im Klassenzimmer
- Workshop zur universitätseigenen K.I.-Assistenz ApphubAI und quantitativer Textanalyse mit Python/R, bei der besonders die Datenvisualisierung mittels Wordcloud, Sentiment-Analysis und Readability-Score für die Studierenden von Interesse war (Dr. Philipp Adämmer) bereicherten und erweiterten das Seminar, um den Studierenden Anreize für die eigene Forschung und unterrichtliche Praxis zu geben.
Zu guter Letzt: Wer hat die Schuldatenhohheit?
Abgerundet wurde das Seminar durch einen letzten Gastvortrag von UBTB-Gründerin Prof. Dr. Sigrid Hartong, die mit uns die Effekte und aktuelle Einflussnahmen von Professionalisierungs-, Bildungs- und Lernplattformen auf (angehende) Lehrkräfte diskutierte. Ausgehend von den PISA-Studien als Ursprung größerer begrifflicher und maßnahmenorientierter Debatten um die Bedeutung von Daten für Bildung und Schule, sowie Bildungssteuerung schlug Sigrid Hartong den Bogen zurück zur Notwendigkeit einer kritischen Datenkompetenz um speziell über Online-Plattformen, Applikationen und Lernmanagementsysteme (LMS) und deren Zielsetzungen, Framing von Bildung und einem daraus sich verändernden Rollenverständnis der Lehrkraft und den im System Schule existierenden Daten zu sprechen. Mit diesem Wissen wurden am Ende ausgewählte Plattformen, Applikationen und LMS durch die Studierenden im Hinblick auf Zielgruppe, Zugänglichkeit und Datennutzung/-verwendung kritisch analysiert.
Fazit: Inspiration und Einordnungsschwierigkeiten
Rückbetrachtend schätzten die Studierenden vor allem die Gastvorträge sehr und schienen nach jedem Vortrag aufs Neue inspiriert zu sein. Es schien ihnen allerdings schwierig, explizite Verknüpfungen der behandelten Themen zum Englischunterricht herzustellen. Hier bedarf es womöglich entweder dem Aufzeigen von konkreteren Unterrichtsbeispielen für das Sprachenlernen oder ein konkretes Herausarbeiten von Bezügen zu institutionellen Dokumenten, auch wenn das Ausbilden von Medien- und digitalen Kompetenzen als Querschnittsaufgabe in schulischer Bildung verstanden wird. Daten als Sprache der Information bedürfen ebenso einer Übersetzung und Lesefähigkeit wie jede andere Fremdsprache und bedarf daher auch einer angemessenen Vermittlung. Daher sollte der Seminar-Fokus in Zukunft mehr auf den Diskurs der Critical Data Literacy als LESE-fähigkeit liegen. Gerade in der praktischen Auseinandersetzung mit Daten wie dem Führen eines Datentagebuches empfehle ich eine fortgeschrittene Thematisierung von digitalem (Daten)Nutzungsverhalten und Daten im öffentlichen Leben, da dies auch bei SchülerInnen alltagsnahe Gesprächsthemen sind, über die kommuniziert werden wollen. Nun freue ich mich auf spannende Hausarbeiten zu Themen wie datenbasierte Entscheidungsfällung durch SchülerInnen innerhalb des Game-based Learning-Ansatzes mittels eines ausgewählten Videospiels, eine kritische Evaluierung der aktuellen Datafizierungsprozesse sowie didaktische Überlegungen zum Einsatz von Fake Voice Generatoren im Englischunterricht! Wer also überlegt, einmal eine Lehrveranstaltung im Zusammenhang mit diesem im Schulsystem allumfänglich präsenten Bereich anzubieten, der findet bei UNBLACK THE BOX konkrete Beratung, Ansprechpartner, die sich für die eigenen Veranstaltungs- oder Unterrichtsideen interessieren und auch selbst Vorschläge unterbreiten, sowie weitere Hilfe in Form von Online-Ressourcen und Material für Bildungsinstitutionen.
Bez, Sarah, Martin J. Tomasik, Samule Merk (2023): “Data-based decision making in einer digitalen Welt: Data Literacy von Lehrpersonen als notwendige Voraussetzung.” In: Scheiter, Katharina & Ingrid Gogolin (Hrsg.): Bildung für eine digitale Zukunft. Edition ZfE Band 15. 339-362.
Macgilchrist, Felicitas, Sigrid Hartong, Sieglinde Jornitz (2023): “Algorithmische Datafizierung und Schule: Kritische Ansätze in einem wachsenden Forschungsfeld.” In: Scheiter, Katharina & Ingrid Gogolin (Hrsg.): Bildung für eine digitale Zukunft. Edition ZfE Band 15. 317-338.