2: Wie bildet man am besten über Daten?

Unsere Forschung und praktische Erfahrung haben eine Reihe bewährter Tipps und Methoden identifiziert, die sich aus unserer Sicht am besten dazu eignen, über Datentechnologien zu bilden – oder ‚Critical Data Literacy‘ zu fördern.

Auf Basis unserer praktischen Erfahrung und unseren Forschungsergebnissen präsentieren wir in diesem Kapitel eine Reihe bewährter Tipps und Methoden in der Bildung über Daten: Was aus unserer Sicht gut funktioniert und worauf pädagogische Fachkräfte achten sollten. Die Kapitel nach diesem enthalten dann Tipps, um ‚gute‘ Bildungsressourcen zu Daten zu finden und eigenes Material zu erstellen.

1. Bei den Lernenden ansetzen

Unabhängig von Ihrem Bildungssetting ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre Lernenden bereits eigene Erfahrungen mit digitalen Technologien gemacht haben und gewisse Haltungen mitbringen. Diese persönlichen Erfahrungen sind ein guter Gesprächseinstieg. Involvieren Sie ihre Lernenden in einen offenen Dialog darüber, wie diese Systeme funktionieren, wie sie unser Leben und unsere Gesellschaft beeinflussen, aber auch welche Limitationen sie haben und mit welchen Risiken sie einhergehen.

Gemeinsam auf eine ‚Entdeckungsreise‘ zu gehen, sich auf die persönlichen Erfahrungen der Lernenden zu beziehen, ‚learning by doing‘-Ansätze zu verfolgen und interaktive Tools einzusetzen, sind alles Ansätze, die aus unserer Sicht für eine kritische Datenbildung gut funktionieren.

Zudem kann es sehr hilfreich sein, persönliche Betroffenheit bei den Lernenden herzustellen. Viele Menschen fühlen eine „issue fatigue“ – eine ‚Problem-Müdigkeit‘ – sie haben das Gefühl, dass es zu viele problematische Entwicklungen auf der Welt gibt, um die sie sich Sorgen machen könnten oder sollten und haben daher wenig Interesse, ein neues Thema auf diese Liste zu setzen.

Gegen diese Ermüdung kann es unserer Erfahrung nach helfen, Lernenden aufzuzeigen, dass Themen rund um Datensysteme sie bereits persönlich betreffen. Zum Beispiel können pädagogische Fachkräfte sich auf die erlebten Erfahrungen der Lernenden mit digitalen Technologien beziehen, aber sie können auch Beispiele und Fallstudien aus dem echten Leben nutzen (Beispiele finden Sie hier, hier oder hier). Auch Geschichten – reale oder fiktionale – sind ein guter Weg, um Lernende zu erreichen, komplexe Themen zu behandeln, kritisches Denken zu fördern oder neue Narrative zu vermitteln.

Viele der Bildungsressourcen, die wir in den Kapiteln 3 und 4 empfehlen, basieren auf solchen Ansätzen. Auch Online-Sammlungen mit Fallbeispielen aus dem realen Leben – so wie Beispiele für konkrete Schäden durch Datensysteme – können weiterhelfen.

2. Positiv bleiben

  • Forschungsergebnis: ExpertInnen, die in Ina Sanders Promotionsforschung interviewt wurden, betonten, dass es wichtig ist, „nicht moralisch zu werden“ und Lernenden zu sagen, „dass etwas falsch oder etwas anderes gut ist.“ Stattdessen sollten Lernende lieber ermutigt werden, „ihre eigene Meinung zu bilden und dieser Gehör zu verschaffen.“
  • Empfehlung: Wir raten allen pädagogischen Fachkräften, auf übermäßig negative Darstellungen und Angstmacherei zu verzichten. Solche Ansätze werden von einigen Bildungsressourcen zum Thema Datentechnologien verwendet, um die Aufmerksamkeit der Lernenden zu bekommen und den Ernst der Lage zu betonen.
  • Allerdings: Frühere Studien von Ina Sander mit Studierenden zeigten, dass manche Lernende gerne etwas Angst gemacht bekommen wollen, damit sie anfangen, sich um ihre Daten zu sorgen.

Auf Basis unserer Erfahrung und der Forschungsinterviews mit ExpertInnen glauben wir jedoch, dass düstere und angstbasierte Ansätze – in den Worten einer Expertin – „die schlechteste Art zu lernen sind, denn wenn man Menschen Angst macht, hören sie auf zu lernen“. Zudem sprechen nicht alle Menschen gut auf solche Ansätze an, was den Lerneffekt weiter gefährdet.

Daher möchten wir pädagogische Fachkräfte ermutigen, positive und motivierende Ansätze zu wählen und zu probieren, das Lernen – auch über kritische Themen – unterhaltsam zu gestalten.

Natürlich ist nicht jedes Thema im Bereich Critical Data Literacy immer nur schön und positiv. Ein Weg, um schwierigere Aspekte anzusprechen und die Herausforderungen rund um Datentechnologien zu thematisieren, kann sein, die Lernenden zu ermutigen, sich verschiedene Daten-Zukünfte auszumalen. Während ein kritisches Verständnis der Funktionsweisen digitaler Technologien und die Reflexion der Auswirkungen dieser Technologien auf unsere Gesellschaft essenziell sind, kann die Imagination einer besseren Zukunft helfen, den Lerneffekt zu verstärken und gleichzeitig vor Resignation schützen.

  • Empfehlung: Kombinieren Sie kritische Perspektiven mit konstruktiven Tipps und dem Ausmalen einer besseren Zukunft. Eine Frage wie „Was für eine Daten-Zukunft wünschen wir uns und welche Schritte müssen wir unternehmen, um diese zu erreichen?“ zu stellen, ist ein einfacher und effektiver Weg, um Lernende zu motivieren und zu verhindern, dass sie allzu pessimistische Zukunftsvorstellungen bekommen, wenn sie mehr über Datensysteme und ihre Risiken lernen.

3. Resignation verhindern und bekämpfen

Bereits im ersten Kapitel haben wir gezeigt, dass viele Menschen resigniert sind oder ihre Daten ‚aufgegeben‘ haben, weil sie sich machtlos fühlen, die Sammlung ihrer Daten zu verhindern.

Tatsächlich kann eine solche Resignation auch entstehen oder sich verstärken, wenn Menschen mehr über Datentechnologien lernen. In einer Studie von Ina Sander fühlten sich Lernende zum Beispiel resigniert, wenn ihnen die allumfassende Datensammlung in der heutigen Gesellschaft klar wurde oder wenn sie herausfanden, auf wie viele Arten ihre Daten ohne ihr Wissen verwendet wurden. Insbesondere die sehr begrenzte Handlungsmacht von Individuen, diese Praktiken zu verhindern, stellt ein großes Risiko für Resignation (und teilweise Verärgerung!) dar.

  • Empfehlung: Wir empfehlen dringend, immer konstruktive Tipps zu geben, wenn Sie über kritische Datenthemen aufklären. Sie können Lernende zum Beispiel konkrete Schritte an die Hand geben, mit denen diese ihre Daten besser schützen können – unter anderem durch veränderte Einstellungen, Tracking-Blocker und alternative, datenschutzsensible Tools oder Add-ons.

Unserer Erfahrung nach können Informationen über alternative Tools und Datenschutz-Tipps Lernende ermutigen und ihnen Selbstbewusstsein geben.

Das hilft – aber nur zu einem gewissen Grad. Denn wer tiefer in Datenthemen einsteigt, merkt schnell, dass solche Methoden nur oberflächliche Lösungen sind, die zudem die Verantwortung auf Individuen verschieben.

Die meisten Probleme rund um Datentechnologien sind systemischer Natur, schwer zu fassen und betreffen häufig undurchsichtige oder sogar geheime Praktiken. Daher braucht es systemische Lösungen wie mehr Regulierung, Transparenz und Kontrolle. Individuen können diese weitreichenden Probleme nicht alleine lösen und sollten nicht das Gefühl bekommen, dafür verantwortlich zu sein.

Aus diesem Grund kann ein anderer Ansatz für konstruktive Tipps sein, Lernende zu ermutigen, ihre Rechte geltend zu machen, zum Beispiel, indem sie in öffentlichen Debatten rund um Daten ihre Meinung vertreten oder ihre Gesellschaft aktiv mitgestalten. Weiterhin können BürgerInnen ihr Recht auf Auskunft ausüben und herausfinden, welche Daten ein Unternehmen über sie gespeichert hat. Ebenso können sie sich in der Zivilgesellschaft engagieren, ihren VolksvertreterInnen schreiben, oder einfach ihr Wissen teilen und mit anderen über die weitreichenden Einflüsse von Datentechnologien sprechen.