Critical Data Literacy als zentrales Element von Lehrkräfteaus- und -fortbildung: Ansätze, Herausforderungen und Strategien für die Zukunft
Am 23. und 24. Juni 2022 veranstaltete die UNBLACK THE BOX-Initiative, finanziert von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg (HSU) sowie dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation Frankfurt/Main (DIPF), einen Workshop zum Thema Critical Data Literacy in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung in Hamburg. Ziel war hierbei nicht nur, das Konzept von Critical Data Literacy intensiv miteinander zu diskutieren, sondern gezielt Initiativen und Projekte in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung aus dem deutschsprachigen Raum zusammenzubringen, die diesen Bereich bereits explizit adressieren.
Denn obwohl zu Data Literacy in den letzten Jahren vermehrt Aus- und Weiterbildungsangebote entstanden sind bzw. deren systematische Integration in die Lehrkräftebildung gefordert wird, zeigen sich nach wie vor, dass die meisten Angebote Data Literacy immer noch primär funktional, also im Sinne von Anwendungskompetenzen (z.B. Wie kann ich Daten sinnvoll nutzen?; Wie erkenne ich fehlenden Datenschutz?) verstehen. Eine kritische Reflexion von Datafizierung als tiefgreifende strukturelle Transformation unserer Gesellschaft sowie ein Verstehen und kritisches Hinterfragen der Funktionsweisen, Geschäftsmodelle und weitreichenden Auswirkungen von Datentechnologien im Sinne von Critical Data Literacy bleiben hingegen oftmals außen vor. Gleichzeitig geht es bei Data Literacy nicht nur um Datentechnologien „da draußen“ (z.B. Google, Social Media), die etwa im Kontext von Unterricht thematisiert werden sollten, sondern um ein Sich-Positionieren-Können zu immer machtvolleren Datentechnologien in der Bildung selbst, etwa in Bezug auf Lernplattformen oder Learning Analytics (z.B. Was macht eine Plattform mit meiner Sichtweise auf Lernen?; Auf Grundlage welchen Modells beurteilt ein Learning Analytics-Tool, dass meine SchülerInnen besser gelernt haben, und ist dieses Modell hier pädagogisch sinnvoll?).
Im Rahmen des Workshops durften wir eine Reihe hochinteressanter Vorreiterprojekte kennenlernen, die sich der Aufgabe der Förderung von digitaler Mündigkeit im Sinne von Critical Data Literacy widmen. Wir stellen diese Initiativen und Projekte unten jeweils kurz vor und machen sie über einen Link aufrufbar. Reinschauen wärmstens empfohlen!
Neben den Projektvorstellungen haben wir im Rahmen des Workshops aber auch über die zahlreichen Hürden und Schwierigkeiten gesprochen, Critical Data Literacy in Lehrkräfteaus- und -fortbildung zu verankern. Genannt wurden (1) (zu) wenig Bewusstsein für die Relevanz des Themas bei Institutionen, Drittmittelgebern, aber auch den Adressat*innen; (2) bislang noch zu wenig Verzahnung mit konkreten Ideen der Unterrichtsgestaltung sowie mit spezifischen Fachcurricula; (3) noch zu wenige Strategien um das Thema jenseits von weiteren Online-Informationssammelstellen sichtbarer zu machen. Gleichzeitig sind nicht nur in den einzelnen Projekten, sondern auch im Verlauf des Workshops spannende neue Ideen und Ansätze entstanden, diese Hürden zu überwinden. Gerne halten wir Sie zu diesen Ideen und Ansätzen in den kommenden Monaten auf dem Laufenden. Melden Sie sich hierfür einfach zu unserem Newsletter an.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Initiativen, die beim Workshop mitgewirkt haben, aber insbesondere auch beim Orgateam: Ina Sander, Manuel Reinhard, Sieglinde Jornitz und Sigrid Hartong!
Das UNBLACK THE BOX-Team
Die Initiativen im Überblick
Medienbildung 360 Grad
Das Weiterbildungsprogramm Medienbildung 360 Grad – mündige Kita und Grundschule ist ein berufsbegleitendes akademisches Angebot der Alanus Hochschule. Es richtet sich an Dozierende in der Ausbildung (reform-)pädagogischer Fachkräfte, sowie an pädagogische Fachkräfte an KiTas und Grundschulen, welche sich ganzheitlich im Bereich Medienbildung qualifizieren und hierbei Critical Data Literacy entwickeln wollen. Ein interdisziplinäres und internationales Dozierendenteam deckt hierbei ein breites Themenspektrum ab, welches u.a. Elternzusammenarbeit, informatische Bildung ohne Bildschirm, digitale Bildungspolitik und Medien- und Gesundheitskonzeptarbeit umfasst.
DiAL:OGe
Das Projekt DiAL:OGe (Digitalisierung in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden: Orientierung und Gestaltung ermöglichen) an der Ruhr Universität Bochum adressiert Critical Data Literacy mit Bezug auf die Frage, wie Digitalisierung als Thema ganzheitlich und sinnvoll in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden verankert werden kann. Insbesondere widmet sich das Projekt dabei Wegen der Verzahnung von Fachdidaktiken, Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften und (internationaler) Digitalisierungsforschung. Hierfür hat das Projekt unterschiedliche Formate (Lehrveranstaltungen, Workshops, etc.) initiiert und erprobt in diesen Formaten neue Ansätze einer an digitaler Mündigkeit orientierten Lehrkräfteausbildung.
https://www.pse.rub.de/dialoge/
PoliMeR
Das Projekt PoliMeR (Politische Medienbildung Regensburg) fokussiert Medienbildung in Verbindung mit politischer Bildung im Grundschulbereich. Dabei wird untersucht, wie die professionellen Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften gestärkt werden können, Themen in diesem Schnittfeld zu unterrichten. Kern der hierfür entwickelten Seminare sind Tandempartnerschaften zwischen bereits aktiven Lehrkräften und Lehramts-Studierenden, welche nicht nur umfassenden Input zu Themen wie u.a. Critical Data Literacy erhalten, sondern diese gleichzeitig im Rahmen selbst entworfener Unterrichtsprojekte erproben. Bewährte Materialien und Seminarmodule werden zudem anderen Schulen und Universitäten in einem Open Resources Format zur Verfügung gestellt.
https://www.uni-regensburg.de/l-dur/startseite/massnahmen/polimer/index.html#c42157
BiDaLL
Das BiDaLL (Big Data Literacy) Projekt hat von 2021-2022 auf Basis von theoretischen Vorarbeiten und bestehenden Kooperationen einen Online-Kurs zum Themenkomplex “Big Data in der digitalen Gesellschaft“ entwickelt. Der frei zugängliche Kurs lässt sich modular und flexibel in allen Phasen der Lehrer(innen)bildung einsetzen und möchte Lehrkräfte im Sinne einer digitalen Aufklärung für die Welt der digitalen Daten und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft sensibilisieren. Zudem enthält der Kurs zahlreiche Lern- und Lehrmaterialien, die zur eigenen Weiterbildung oder auch im Unterricht eingesetzt werden können.
https://digilehre.zflkoeln.de/big-data-literacy/
digiLL
DigiLL ist ein Universitätsverbund für digitales Lehren und Lernen in der LehrerInnenbildung, der bereits die Zentren für LehrerInnenbildung von zehn Universitäten aus drei Bundesländern verbindet. Gemeinsam möchte das Netzwerk die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehramtsstudierenden sowie Lehrkräften fördern. Herzstück des Verbunds ist eine Online-Plattform mit ca. 18.000 monatlichen BesucherInnen und 44 als OER (Open Educational Resource) zugänglichen Lernmodulen zu verschiedenen Themen rund um Digitalisierung und Daten.
CBDALN
Das Critical Big Data and Algorithmic Literacy Network (CBDALN) ist ein internationales und interdisziplinäres Netzwerk von ForscherInnen und PraktikerInnen mit Interesse an Critical Data Literacy. Ziele sind die Vernetzung und der Austausch von Forschung und Praxis zur Förderung einer kritischen Bildung über Daten und Datafizierung. Kernprojekte des Netzwerks sind ein Glossar mit Begriffen im Kontext von ‚Digitaler Souveränität‘ sowie eine Datenbank mit über 140 Lern- und Lehrmaterialien, die zur Förderung einer kritischen Datenbildung eingesetzt werden können.
https://www.bigdataliteracy.net/
Mün.DIG.Lab
Das Projekt Mün.DIG.Lab (Digitale Mündigkeit in der beruflichen Lehramtsausbildung) hat zum Ziel, digitale Lehr-/Lernarrangements im Blended Learning-Format zu entwickeln. Zukünftige Lehrkräfte sollen durch digitale Lernbausteine demokratische Orientierungs-, Reflexions- und Handlungsfähigkeit in der digital geprägten Gesellschaft entwickeln und darin befähigt werden, diese an Schülerinnen zu vermitteln. Mit Bezug auf Critical Data Literacy sollen sie darin geschult werden, die individuellen und gesellschaftlichen Folgen datenbasierter Überwachung, Kontrolle und Manipulation zu erkennen und kritisch zu beleuchten – und dabei eine Haltung wissenschaftlich-kritischer Distanz bei gleichzeitig forschend-offener Haltung gegenüber den Möglichkeiten digitaler Technologien einüben. Zudem umfasst das Projekt eine umfassende Erhebung zu Vorstellungen von Lehramtsstudierenden und Schülerinnen in Bezug auf Critical Data Literacy.