UNBLACK THE BOX Logo

Liebe LeserInnen,

in unserem aktuellen November-Newsletter finden Sie passend für die kälter werdenden Herbsttage eine ganze Reihe an Leseempfehlungen und spannenden neuen Ressourcen zur Reflexion digitaler Bildungsmedien.

Unter anderem berichten wir von einem neuen Special Issue zu Informatik-Lernszenarien mit UBTB-Beteiligung und empfehlen zwei neue Ressourcen aus unserer Runde: Den neuen Denk- und Werkzeugkasten zur digitalen Medienbildung mit wertvollen neuen Perspektiven für Lehrkräfte von unserem Mitglied Christoph Richter sowie den Audioimpuls „Was macht die App im Unterricht?“, in dem UBTB-Mitglied Sieglinde Jornitz mit KollegInnen zentrale Fragen zum Einsatz von LernApps und deren Einfluss auf das Lernen erörtert.

Außerdem möchten wir herzlich zur ersten Europäischen Konferenz zu Kritischen EdTech-Studien (ECCES) im Juni 2025 einladen. Abschließend ordnet Sieglinde Jornitz in einem Kommentar die Selektivität der Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) kritisch ein.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und Stöbern in diesen interessanten Themen! Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback und Ihre Anregungen.

Herzliche Grüße,

Ihr UBTB-Team

Aktuelles bei UBTB
Neuer Artikel aus dem UBTB Team zu Informatik-Lernszenarien mit und ohne Anthropomorphismen

Das Special Issue mit dem Titel  „Contesting Computer Anthropologies“ ist vollständig als Open Access Publikation verfügbar und enthält eine Ansammlung lesenswerter Artikel zu der Frage, was Menschlichkeit im Zeitalter von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz ausmacht. Gemeinsam mit Jan Segessenmann schlägt UBTB-Mitglied Paula Bleckmann vor, mögliche Auswirkungen von Lehr-Lern-Szenarien der informatischen Bildung auf das Menschenbild von Lernenden in Zukunft als relevante Erwägung für deren Auswahl und Beurteilung einzubeziehen. Bleckmann und Segessenmann kritisieren dabei anhand von exemplarisch untersuchten Lernszenarien zwei mögliche Probleme:

1. Anthropomorphismen, also die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften an Maschinen  (Beispiele: ein Roboter „möchte seine Freundin besuchen", ein Computer „bereut zutiefst, was er getan hat“),

2. Technomorphismen, also umgekehrt die Zuschreibung technisch-maschineller Eigenschaften an Menschen (Beispiel: „Dein Gehirn arbeitet wie ein Computer“).

Das Autorenteam fragt, welche impliziten und expliziten Auswirkungen diese Formulierungen haben könnten. Sie stellen demgegenüber auch Lernszenarien von der Einführung ins Binärsystem bis zum sogenannten „Machine Learning“ vor, die eine prinzipielle Unterscheidung zwischen der Natur des Menschen und der des Computers betonen, was z.B. zu Äußerungen wie derjenigen führen kann, die auch in den Titel des Beitrags aufgenommen wurde:  „...I grasped that the computer calculates everything and cannot think“.

Thomas Fuchs, Oskar Aszmann, and Oliver Dürr beschäftigen sich anhand von Überlegungen zu Leiblichkeit/Embodiment mit den Limitationen von „Cyborgisierung“.

Ressourcen & Empfehlungen
Digitale Medienbildung – Ein Denk- und Werkzeugkasten

UNBLACK THE BOX-Mitglied Christoph Richter hat im September einen Denk- und Werkzeugkasten zur Digitalen Medienbildung veröffentlicht. Das als Webbuch veröffentlichte Dokument richtet sich an Lehramtsstudierende und LehrerInnen, aber auch an MedienpädagogInnen und andere Personen, die sich dafür interessieren, wie digitale Technologien unsere sozialen Praktiken transformieren.

Ausgehend von einem Verständnis der Digitalisierung als gesellschaftliches und kulturelles Schlüsselproblem ist der Denk- und Werkzeugkasten darauf ausgelegt, Perspektiven zu entwickeln, Fragen aufzuwerfen und verschiedene methodische Zugänge aufzuzeigen, um digitale Transformationsprozesse sowohl eigenständig wie auch gemeinsam zu erkunden. Der Denk- und Werkzeugkasten steht als freie und offene Ressource unter einer CC BY-SA 4.0 Lizenz zur Verfügung.

Audioimpuls „Was macht die App im Unterricht?“

Der Einsatz von LernApps im Unterricht will gut überlegt sein; erst recht, wenn es um die Grundschule geht. Gerold Scholz (Uni Frankfurt/M.), Lydia Brack und Gesine Kulcke (PH Ludwigsburg) sowie unser UBTB-Mitglied Sieglinde Jornitz haben ihre Gedanken über LernApps zu Papier gebracht. Dabei werden Fragen wie: Was unterscheidet das Arbeitsblatt von der LernApp?, Soll Lernen Spaß machen?, Sollen sich Kinder miteinander vergleichen können?, oder: Können Kinder mit LernApps lernen? aufgeworfen und unter den Bedingungen von Schule besprochen.

Als Audioimpuls - eingesprochen von Lisa Helfrich - stehen diese nun auch auf unseren Seiten zum Anhören und Download zur Verfügung.

Veranstaltungen

European Conference on Critical Edtech Studies (ECCES)  
18. – 20. Juni 2025, Universität Zürich

Unter dem Leitmotiv „Defining the Field, Envisioning the Future“ findet vom 18. bis 20. Juni 2025 an der Universität Zürich die erste European Conference on Critical Edtech Studies (ECCES) statt. Die Konferenz möchte eine wertvolle Plattform für den interdisziplinären Austausch über die dynamische Entwicklung von Bildungstechnologien und deren weitreichende Auswirkungen auf Lehren, Lernen und die Gesellschaft bieten.

Die ECCES richtet sich an Nachwuchs- sowie erfahrene WissenschaftlerInnen, BildungspraktikerInnen und EdTech-EntwicklerInnen aus aller Welt. Zu den OrganisatorInnen zählen neben UBTB-Mitglied Sigrid Hartong (Helmut-Schmidt-Universität) Mathias Decuypere (Pädagogische Hochschule Zürich), Jeremy Knox (Universität Oxford) und Ben Williamson (Universität Edinburgh). Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, ein fundiertes Verständnis von Kritischen EdTech-Studien zu etablieren und intensive Diskussionen über zukünftige Entwicklungen im Bereich der Bildungstechnologien anzuregen.

Sollten Sie daran interessiert sein, einen Beitrag auf der Konferenz zu präsentieren, sind Sie herzlich eingeladen, bis zum 15. Dezember 2024 ein Abstract einzureichen.

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte The European Conference on Critical Edtech Studies (ECCES) oder kontaktieren Sie das Konferenzteam unter ecces@phzh.ch.

Kommentare & Einblicke in die Arbeit unserer Mitglieder
Über Selektivität und Argumentation der SWK-Gutachten und Stellungnahmen 

Ein Kommentar von UNBLACK THE BOX-Mitglied Sieglinde Jornitz

Der folgende Text ist eine Zusammenfassung eines Artikels, der unter dem Titel „Wissenschaft als Argumentationsverzicht. Über die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK und ihre Veröffentlichungen“ im Heft 69 der Zeitschrift Pädagogische Korrespondenz (S. 40-58) erschienen ist. 

Im Herbst 2020 wurde die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) von der Kultusministerkonferenz (KMK) eingerichtet. Das Gremium tritt als Beratungsorgan der politisch für das Bildungswesen verantwortlichen Bundesländer auf und spricht – dem eigenen Anspruch nach – auf wissenschaftlicher Evidenz fußende Empfehlungen aus. Diese betreffen immer wieder auch den Einsatz von digitalen Instrumenten im Bildungsbereich. Schaut man sich die bisher von der SWK veröffentlichten Stellungnahmen, Gutachten und Impulspapiere1 an, dann fallen zwei Aspekte auf.

(1) Erstens hat die SWK ein spezifisches, nicht von der gesamten Disziplin der Bildungsforschung und Erziehungswissenschaft geteiltes Verständnis der Aufgaben und Ziele von Bildungseinrichtungen. Ihre starke Orientierung an Kompetenz und an internationalen und nationalen Assessments führen zu einem Unsichtbar-Werden der von Lehrerinnen, Erziehern und anderem pädagogischen Fachpersonal zu bewältigenden pädagogischen Aufgaben.

(2) Zweitens nimmt die SWK für sich in Anspruch, dass ihre Stellungnahmen und Gutachten auf der jeweils aktuell gültigen wissenschaftlichen Evidenz fußen, die jedoch bei näherer Betrachtung oftmals weniger eindeutig sind, als benötigt oder erwünscht. 

Zu 1: 

Das SWK-Gutachten zur Grundschule „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ wurde am 9. Dezember 2022 veröffentlicht und hat in der Disziplin viel Aufsehen erregt (vgl. DGfE 2023; Offener Brief 2023). Im Gutachten wird ohne weitere Begründung als gegeben vorausgesetzt, dass die Kernaufgabe der Grundschule in der Erreichung von Kompetenzzielen, nicht auf der Vermittlung von Bildungsinhalten liege. In der Folge ist im Gutachten viel von basalen Kompetenzen die Rede, die oft als physiologische Entwicklungsprozesse gedacht werden, ohne angeben zu können, wie Lehrkräfte auf diese Einfluss nehmen können. Zugleich wird die vormals pädagogische Ausrichtung der Lehrhandelns auf eine eher diagnostische umgepolt. In dieser Perspektive sind LehrerInnen nicht mehr für fachliche Vermittlung zuständig, sondern sie teilen aus: Tests zur Diagnose, Materialien für die Bearbeitung und Tests für die Evaluation. Dieser Dreischritt entkoppelt das Handeln der Lehrkräfte von der eigenen Involviertheit in das Geschehen. Grundschule gerät in der SWK-Perspektive zu einem Fördercamp, aber nicht zu einer pädagogischen Institution, in der Entwicklungen von Heranwachsenden begleitet werden. 

 
Zu 2: 

Die von der SWK formulierten Empfehlungen erheben den Anspruch evidenzbasiert d.h. wissenschaftlich begründet zu sein. Anhand der SWK-Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel von 2023 kann gezeigt werden, wie brüchig die Evidenz ist. Eine der Kernaussagen ist, dass geringere Unterrichtszeit in einem Fach zu geringeren Schulleistungen in diesem führt. Dieser rein logisch überzeugende Zusammenhang wird von der SWK jedoch empirisch geführt. Allerdings kann sie dabei nicht auf weitreichende Studien zurückgreifen, sondern stützt sich auf ein working paper und auf eine in einem Journal veröffentliche Metastudie. Schaut man sich diese Publikationen näher an, dann sind die AutorInnen weit weniger eindeutig in ihren Erkenntnissen. Sie zeigen auf, wie schwierig es ist, eine direkte Beweiskette zwischen Unterrichten und SchülerInnenleistungen zu ziehen, wenn nicht die jeweilige Klassenarbeit gemeint ist, sondern ein Test, der nicht auf das vorher tatsächlich Unterrichtete ausgerichtet ist. D.h. die Evidenzen, die vorliegen, führen eher in die Probleme hinein, die Wissenschaft selbst erzeugt, als dass sie sich für Handreichungen für die Praxis eignen. Die dann aufgelisteten, konkreten Empfehlungen, wie z.B. die Erschließung von Beschäftigungsreserven oder die Gesundheitsförderung mittels Achtsamkeitstrainings können nicht über Evidenzen im Hinblick auf ihre Wirkungen belegt werden. 

Kurzum: Die SWK wird in den nächsten Jahren immer wieder Empfehlungen für das Bildungssystem aussprechen. Man sollte diese jedoch durch die Brille, die sie sich selbst gegeben hat, betrachten. Politisch wird eine Eindeutigkeit verlangt, die wissenschaftlich (noch) nicht hergestellt werden kann. Dies verweist darauf, wie selektiv in diesen Gutachten für die eigene Position argumentiert wird. Wissenschaftlich entscheidend wäre zu klären, welche Bedingungsgefüge im Unterrichtshandeln am Werk sind. Und politisch ginge es immer auch darum, offenzulegen, welches Ziel man (auch auf Basis des Gutachtens) verfolgt und was man sich von den jeweiligen Maßnahmen erhofft. Zur Sprache käme dann die normative Verfasstheit des pädagogischen Tuns selbst. Dieser ist nicht allein empirisch, aber erst recht nicht durch Argumentationsverzicht beizukommen. 

UNBLACK THE BOX ist eine im Jahr 2019 gegründete Netzwerkinitiative zum Thema Critical Data Literacy. Unser Impressum und unsere Datenschutzerklärung finden sich auf unserer Website.
Wir freuen uns über Anregungen, Hinweise oder Feedback zum Newsletter an info@unblackthebox.org.

Newsletter abbestellen    |    Web-Version anzeigen