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Liebe LeserInnen,

mit sonnigen Frühlingsgrüßen senden wir Ihnen in diesem Newsletter wieder eine ganze Reihe an interessanten Neuigkeiten.
Neben Berichten von zwei Fachtagen, zu denen unsere Mitglieder als Expertinnen geladen wurden, freuen wir uns, die Print-Version unseres Leitfadens “Kritische Datenbildung fördern” anzukündigen. Außerdem empfehlen wir zwei Bücher, die beide online als Open Access-Version frei verfügbar sind sowie eine spannende Veranstaltung zu Bildungstechnologien im April.
Schließlich haben unsere Mitglieder Christoph Richter und Heidrun Allert als Einblick in ihre aktuelle Arbeit einen Kommentar zum Thema Generative KI geschrieben, in dem sie bestehende Handreichungen und Leitlinien zum Umgang mit generativer KI kritisch reflektieren.

Herzliche Grüße,

Ihr UBTB-Team

Aktuelles bei UBTB
UNBLACK THE BOX beim Fachtag „Digitalität und kindliche Entwicklung“

Auf Einladung der GEW-Hessen fand am 29.2.2024 in Frankfurt/Main ein Fachtag zum Thema „Digitalität und kindliche Entwicklung“ statt. Hierzu trugen auch die beiden UBTB-Mitglieder Paula Bleckmann und Sieglinde Jornitz bei. Paula Bleckmann sprach in einem der beiden Hauptvorträge zum Thema „Wie man die Förderung von Medienkompetenz und Gesundheit zusammenbringt – und warum das so schwer ist“. Sie zeigte auf, wie hoch die Bildschirmzeit bei Kindern und Jugendlichen ist, welche gesundheitlichen und sozialen Risiken damit verbunden sind. Zudem verwies sie auf die Marketingstrategien der digitalen Softwareanbieter, die im Bildungsbereich nicht anders als bei anderen Produkten agieren und so die Verantwortung für einen bewussten Umgang allein den Käuferinnen und Käufern zuweisen. Den zweiten Hauptvortrag hielt Fabian Buschmann, der eindrücklich aus seiner Arbeit zum Thema Mediensucht der „Offline-Helden“ aus Dresden berichtete.

Am Nachmittag fanden vier parallele Workshops für die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer statt, von denen Paula Bleckmann einen zum Thema „Digitale Bildung analog und in Bewegung“ und Sieglinde Jornitz einen zum Thema „Lernplattformen und deren pädagogisch-didaktische Analyse“ durchführte. Alle Beiträge zum Fachtag werden demnächst auf der Website der GEW-Hessen zu finden sein.

Der Fachtag endete mit einem interessanten Vorschlag, nämlich einer freiwilligen Selbstverpflichtung zum bewussten Umgang mit digitalen Medien in Grundschulen – siehe pdf. Wir finden die fünf Aspekte bedenkenswert – und uns kommt natürlich das Plädoyer für einen bewussten Umgang sehr bekannt vor!

Online-Fachgespräch zur Nationalen Bildungsplattform mit UBTB-Mitglied Heidrun Allert

Am 8. Februar lud die Bundestagsfraktion “Bündnis 90 Die Grünen” zum Online-Fachgespräch “Neuer Name, Neue Ziele? Wohin geht die Reise bei der Nationalen Bildungsplattform?”. Als Expertin eingeladen war neben Prof. Dr. Ulrike Lucke (Uni Potsdam) und Marina Weisband (Publizistin) auch UNBLACK THE BOX-Mitglied Prof. Dr. Heidrun Allert. Diskutiert wurde die inhaltliche und strategische Ausrichtung der Plattform, die kürzlich in „Vernetzungsinfrastruktur Bildung“ umbenannt wurde, sowie Governancefragen und Fragen rund um den Nutzen der Plattform, Hindernisse zur Barrierefreiheit und das Engagement des Bundes. Weitere Informationen finden Sie hier.

Leitfaden Kritische Datenbildung jetzt auch als PDF-Broschüre verfügbar

Im letzten Herbst haben wir auf unserer Webseite den Online-Leitfaden „Kritische Datenbildung fördern“ veröffentlicht. Entstanden ist der Leitfaden aus einer Kooperation von UNBLACK THE BOX-Mitglied Ina Sander und der NGO Privacy International. Nun gibt es den Leitfaden auch als Print-Broschüre zum Download. Das Layout wurde für den Druck in Form einer doppelseitigen Broschüre optimiert und alle Links in Fußnoten mit QR-Codes umgewandelt. Die Broschüre kann unter einer Creative Commons Lizenz kostenlos geteilt und weiterverbreitet werden – und so hoffentlich auf dem einen oder anderen Schreibtisch interessierter pädagogischer Fachkräfte landen!

Veranstaltungen

Uneducated Edtech? Risiken und Chancen von Bildungstechnologien und KI


23.04.2024, 17-18:30, online

Am 27. April findet die Podiumsdiskussion „Uneducated Edtech? Risiken und Chancen von Bildungstechnologien und KI“ der Pädagogischen Hochschule Zürich statt. Gemeinsam mit UNBLACK THE BOX-Mitglied Sigrid Hartong diskutieren Adrienne Williams - Forscherin am "Distributed AI Research Institute" (DAIR, gegründet von Timnit Gebru) und ehemalige Lehrerin – und Jessica Dehler, Leiterin des "Centre for Learning Science" an der EPFL in der Schweiz. In der Podiumsdiskussion werden Bildungstechnologien aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und Vorteile, Risiken und ethische Fragen rund um die Entwicklung von EdTech diskutiert. Die Veranstaltung findet online (via Zoom) und in englischer Sprache statt. Um Anmeldung wird gebeten.

Ressourcen & Empfehlungen
Praxisbuch "analog vor digital" (2023)

Das reich bebilderte Werk richtet sich an alle, die sich für eine mündigkeitsorientierte Medienbildung interessieren – sowohl in medienpädagogischen als auch in informatischen Themenfeldern. Übersichtliche Anleitungen mit Tipps und Tricks machen es PädagogInnen leicht, Kinder zum Gestalten, Tüfteln, Staunen und im wortwörtlichen Sinn Be-Greifen von Medienwelten einzuladen. Mit spannenden Interviews aus der Pädagogik, Prävention und Forschung rundet die Herausgeberin Brigitte Pemberger den bunten Blumenstrauß an Inspiration für eine Medienbildung mit integrierter Medien(sucht)prävention ab. Auch die UBTB-Mitglieder Prof.in Dr.in Paula Bleckmann und Dr.in Sieglinde Jornitz haben zusammen mit über hundert Menschen zum Werden dieses Buches beigetragen.

Buch: „How Computers entered the Classroom, 1960-2000“

Das neue Open Access Sammelwerk „How Computers entered the Classroom, 1960-2000“, herausgegeben von Carmen Flury und Michael Geiss, versammelt diverse historische Perspektiven auf Computernutzung in der Bildung. Neben Fallstudien zu schulischer Nutzung von IT-Technologie in unterschiedlichen nationalen Kontexten zwischen 1960 und 2000 werden trans- und supranationale Perspektiven geboten. Einen hörbaren Einblick in das Buch bietet zudem die Folge „The history of educational computing in Europe“ des Podcasts „Eduation Technology Society“. In dieser spricht Podcast-Host Neil Selwyn mit Herausgeber Michael Geiss über die wichtige Rolle von PionierInnen im EdTech-Bereich und darüber, welche Perspektiven die kritische Forschung verfolgen sollte.

Kommentare & Einblicke in die Arbeit unserer Mitglieder
Generative KI - Werkzeug oder kollektive Aufgabe?

Ein Kommentar der UNBLACK THE BOX-Mitglieder Christoph Richter & Heidrun Allert

Seit der Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI im November 2022 sind generative KI-Anwendungen auf Basis großer Sprachmodelle zu einem Dauerthema geworden. Insbesondere im Bildungskontext haben die Möglichkeiten automatisierter Generierung von medialen Inhalten zu einer Vielzahl von Kommentaren, Analysen und Tools geführt. Die anfängliche Verunsicherung weicht zunehmend pragmatischen Positionen im Umgang mit dieser technologischen Entwicklung. Beispiele hierfür sind Handreichungen für Lehrkräfte, Initiativen für eine datenschutzkonformen und sicheren Zugang zu entsprechenden Systemen wie auch das Impulspapier »Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem«, der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK)[1]. Die aktuelle Diskussion greift jedoch zu kurz, wenn sie Technik auf ihren instrumentellen Charakter reduziert und die mit ihr einhergehenden soziokulturellen Transformationsdynamiken ausklammert.

So verkürzt etwa das Impulspapier der SWK die Frage nach den »Chancen und Risiken« von ChatGPT auf den »gewinnbringenden Einsatz in Lehr-Lernsituationen«. Generative KI-Anwendungen werden als Werkzeuge betrachtet, deren Eignung für verschiedene Szenarien geprüft und gesichert werden soll, von Texterstellung durch Schüler*innen über personalisierte Lernumgebungen bis zur Produktion von Lehrmaterial. Die Betrachtung aus einer solch instrumentellen Perspektive reduziert die Diskussion auf die benötigten Fähigkeiten und Kenntnisse von Schüler*innen und Lehrkräften sowie auf technische Aspekte wie inhaltliche Qualität und rechtssichere Nutzung. Weiterreichende soziokulturelle Transformationsdynamiken werden durch die Reduktion von Lernen und Bildung auf individuellen Kompetenzerwerb sowie technizistische Machbarkeitsphantasien neutralisiert, was eine zutiefst technizistische Weltsicht offenbart.

Wie aber könnte ein anderer Blick auf generative KI aussehen? Wir schlagen vor, generative KI-Anwendungen nicht nur als Werkzeuge oder technische Probleme, sondern als kollektives und ›öffentliches Problem‹[2] zu verstehen. Sie erfordern eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, da sie unser Leben und Handeln beeinflussen und der gemeinsamen Sorge bedürfen. Sie haben den Charakter eines ›vertrackten‹ oder ›wicked problems‹[3]. Wir wissen weder worin das Problem besteht, das ChatGPT und Co. lösen, noch wie wir mit diesen Technologien umgehen sollen. Wir wissen, dass wir bessere oder schlechtere Entscheidungen treffen werden und ahnen, dass jede Entscheidung neue Probleme nach sich ziehen wird. Ein rein instrumentelles Verständnis dieser Anwendungen greift folglich zu kurz. Die Fragen, die sich aus dem Verständnis generativer KI als kollektive Aufgabe ergeben, sind konkreter Natur, wie wir an den folgenden Beispielen aufzeigen.

In der Diskussion um generative KI-Anwendungen wird oft die Problematik systematischer Verzerrungen in den produzierten Inhalten hervorgehoben, die etwa Fragen von Religion, Gender, Ethnie, Beruf sowie moralischen und politischen Ansichten betreffen. Hieran knüpft zumeist die Forderung an, entsprechende Verzerrungen zu beheben oder sie zumindest offenzulegen. Abgesehen von ›technischen‹ Umsetzungsproblemen[4], stellt sich hier jedoch eine viel grundlegendere Frage: Woher wissen wir, was eine Verzerrung ist und wer bestimmt dies? Eine soziokulturelle Perspektive legt nahe, dass eben diese ›Verzerrungen‹ Gegenstand und Produkt kulturhistorisch kontingenter Prozesse sind. Die Vorstellung eines LLMs ohne Verzerrungen verkennt diese Kontingenz und fällt einem technizistischen Weltbild anheim. Versteht man die Frage der Verzerrungen hingegen als Teil einer kollektiven Aufgabe, können generative KI-Anwendungen durchaus dazu dienen, entsprechende Verzerrungen aufzuzeigen.

Ein ähnliches Beispiel betrifft die Beurteilung der Qualität von Inhalten, die durch generative KI-Anwendungen erstellt wurden. Obwohl große Sprachmodelle in verschiedenen Bereichen Inhalte produzieren können, die vordefinierten Qualitätsstandards genügen und oft menschliche Produkte übertreffen, sagt dies nichts über die Qualität in anderen Anwendungsbereichen oder in Bezug auf unterschiedliche Qualitätsstandards aus. Die hier oft einsetzende Forderung nach ›besserer› Technologie vernachlässigt jedoch, dass auch die Qualität medialer Inhalte das Ergebnis soziokultureller Verhandlungsprozesse ist. Was einen ›guten‹ Text ausmacht, ist nicht objektiv bestimmbar und kann nicht technisch sichergestellt werden, ohne auf einen angenommenen Konsens zurückzugreifen oder diesen zu diktieren. Die Auseinandersetzung mit Fragen der Qualität(en) von Texten kann jedoch auch hier als kollektive Aufgabe betrachtet werden, zu der KI-generierte Inhalte einen Beitrag leisten können. Zudem ist auch nicht davon auszugehen, dass der Einsatz generativer KI-Anwendungen Bildungsungleichheit und Leistungsscheren reduzieren wird, solange die Verhandlungs- und Entwicklungsprozesse von kommerziellen Interessen dominiert werden, während öffentliche Institutionen und Zivilgesellschaft zunehmend als überflüssig betrachtet werden.[5] Die Entwicklung und Verbreitung von KI sind daher immer auch politisch.

Weiterführende Fragen betreffen etwa den für entsprechende Anwendungen erforderlichen Energieaufwand im Verhältnis zum generierten Mehrwert, die Bindungen und Einflussnahmen der Anbieter durch konkrete Produkte, sowie die Arbeitsbedingungen unter denen die Modelle trainiert wurden. Das Verständnis generativer KI als kollektiver Aufgabe lenkt den Blick auch auf die Transformation jener Praktiken, die diesen Technologien betroffen sind und wirft die Frage auf, was uns an diesen Praktiken eigentlich wichtig ist. Aus pädagogischer Perspektive lassen sich generative KI-Anwendungen nicht nur als Werkzeug, sondern im Sinne der kritisch-konstruktiven Didaktik Wolfgang Klafkis auch als ›epochaltypisches Schlüsselproblem‹ verstehen, das nicht nur Schüler*innen und Studierende, sondern uns alle betrifft.


[1] Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (2024). Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem. Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz. http://dx.doi.org/10.25656/01:28303

[2] Williamson, B. (2024, 29. Februar). AI in education is a public problem. Code Acts in Education. https://codeactsineducation.wordpress.com/2024/02/22/ai-in-education-is-a-public-problem/

[3] Rittel, H., & Webber, M. M. (1973). Dilemmas in a General Theory of Planning. Policy Sciences, 4(2), 155–169.

[4] Siehe z.B. Robertson, A. (2024, 21. Februar). Google apologizes for ‘missing the mark’ after Gemini generated racially diverse Nazis. The Verge. https://www.theverge.com/2024/2/21/24079371/google-ai-gemini-generative-inaccurate-historical

[5] Donner, M., Allert, H. (2022). Auf dem Weg zur Cyberpolis. Bielefeld: Transcript.

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