Katharina Asen-Molz & Mirjam Wenzel, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Pädagogik (Grundschulpädagogik) der Universität Regensburg; Projekte PoliMeR und FALKE-d/GS
Politische Bildung in der digitalisierten Welt – Ein Thema für (angehende) Grundschullehrkräfte?
Da sich in der digitalisierten Welt technologische Entwicklungen massiv auf Gesellschaft und Politik auswirken, gewinnt die klassische Schnittstelle zwischen Medienbildung und politischer Bildung enorm an Bedeutung. Denn Phänomene wie die Datafizierung (z.B. auch der Schule) oder die Automatisierung von Prozessen durch Algorithmen (z.B. bei der Selektion von Informationen) stellen gesamtgesellschaftliche Herausforderungen dar. Für eine politische Medienbildung spielen insbesondere die damit in Verbindung stehenden veränderten Anforderungen an die Informationssuche und Meinungsbildung eine zentrale Rolle, z.B. die Fragmentierung der Öffentlichkeit im Internet, der Bedeutungsverlust des Journalismus oder die Verbreitung von Desinformationen und Hetze im Netz. Diese Themen gilt es unterrichtlich aufzubereiten, um Schüler*innen zu unterstützen, mündig im Netz agieren und an der digitalisierten Welt selbstbestimmt teilhaben zu können. Inwiefern diese Phänomene auch die Lebenswelt von Grundschulkindern berühren, soll folgendes Zitat einer Grundschülerin der 3. Klasse verdeutlichen:
„Wenn ich gestern ‚Berlin – Tag und Nacht‘ angeschaut habe, dann schaue ich nach einem Tag wieder und öffne YouTube, dann wird mir das gleich vorgeschlagen. Wenn ich ganz oft ‚Berlin – Tag und Nacht‘ anschaue, dann kann sich das Handy denken, dass ich vielleicht noch so eine Folge anschauen möchte und zeigt mir das an. Wenn ich ein Video anschaue und dann ‚Daumen hoch‘ drücke, dann wissen die, dass das mein Stil ist, und schalten mir ähnliche Videos her.“ [Wie findest du das?] „Gut, dann muss ich nicht jedes Mal alles in der Suchleiste suchen, sondern kann gleich weiterklicken.“ (Mädchen, 8 Jahre)
Die Vorstellungen der Schülerin zu YouTube, die im Interview mit einer Studentin verbalisiert wurden, zeigen, dass dem Mädchen bereits durch die reine Nutzung der Plattform vieles bewusst geworden ist. So erkennt sie, dass es zu einer Interaktion zwischen ihrem eigenen Nutzungsverhalten und der Plattform kommt. Allerdings fehlt der Schülerin vermutlich genaueres Wissen darüber, dass hier a) von Algorithmen gesteuerte b) Selektionsprozesse c) auf Grundlage der Sammlung persönlicher Daten d) aus rein ökonomischen Interessen des Anbieters mit potenziell e) gesellschaftlichen Folgen geschehen. Die sich rein auf das eigene Nutzungsverhalten beziehende abschließende Bewertung „Ich finde das gut“ zeigt, dass eine kritische Reflexion auf individueller und gesellschaftlicher Ebene (was bedeutet das für mich, aber auch für die Gesellschaft, wenn Unternehmen so viel über uns wissen und Inhalte dementsprechend filtern) nicht stattfindet. Obwohl das Kind also allein durch die Bedienung viel implizites Wissen erworben hat, besteht eine Diskrepanz zu dem, was für ein selbstbestimmtes, kritisches Agieren im Netz erforderlich wäre. Es bedarf schulisch gestalteter und begleiteter Lerngelegenheiten, um explizites Wissen und Kompetenzen aufzubauen. Denn Studien zeigen, dass YouTube, aber auch weitere digitale Angebote wie TikTok oder Instagram für Kinder und Jugendliche von enormer Bedeutung sind (z.B. KIM-Studie). Diese werden nicht nur zur Unterhaltung (wie in diesem Beispiel), sondern auch zunehmend zur Informationsbeschaffung genutzt, was die Bedeutung für die schulische Bildung unterstreicht. Es ist eine herausfordernde Aufgabe für Grundschullehrkräfte, diese Thematik für Grundschüler*innen aufzubereiten, weshalb es der Förderung medienpolitischer professioneller Kompetenzen bei (angehenden) Grundschullehrkräften (v.a. Fachwissen und fachdidaktisches Wissen, aber auch entsprechende Motivation) bedarf.
An der Universität Regensburg gibt es am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik zwei Forschungsprojekte, die sich hiermit befassen.
- Das Forschungsprojekt PoliMeR (Politische Medienbildung Regensburg) widmet sich der Untersuchung und Förderung dieser professionellen Kompetenzen für eine politische Medienbildung in einer Interventionsstudie. Lehrkräfte und Studierende entwickeln im Rahmen einer gemeinsamen Fort- bzw. Ausbildung kooperativ Unterrichtsideen und erproben sie in Schulklassen (Asen-Molz et al., 2020; Wenzel & Asen-Molz, i.V.).
- Im Forschungsprojekt FALKE-d/GS (Teil des größeren, transdisziplinären Projekts FALKE-d) wird das Ziel verfolgt, Schüler*innen der 4. Jahrgangsstufe selbst bei der Entwicklung medienpolitischer Kompetenzen zu unterstützen. Dafür wurde ein Unterrichtsprojekt mit einer eigenen Lernplattform und eigenen Erklärvideos entwickelt (Untersuchungsgegenstand ist hierbei die Wirksamkeit der Erklärvideos, v.a. im Kontext des Flipped-Classroom-Ansatzes; vgl. Frei et al., 2020).
Beide Projekte werden im Zuge der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom BMBF gefördert mit dem Ziel, evidenzbasierte Erkenntnisse zu generieren. Doch trotz des Potenzials der Projekte zeigen sich bei der Umsetzung durchaus Probleme wie z.B. langwierige Genehmigungsverfahren bei der Schuladministration. Auch die geringen Teilnehmer*innenzahlen bei Studierenden und Lehrkräften stellen die beiden Projekte vor Herausforderungen. Über die Gründe können wir nur spekulieren: Wesentlichen Einfluss hat sicherlich der akute Lehrkräftemangel, der dazu führt, dass weniger Fortbildungen genehmigt werden. Weitere Belastungen (z.B. durch Corona oder die Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine etc.) führen zu einem dauerhaften Ausnahmezustand, so dass die Auseinandersetzung mit dieser Thematik womöglich vernachlässigbar erscheint. Die Ausweitung des Adressat*innenkreises auf weitere Bundesländer ist wiederum dadurch erschwert, dass hierfür jeweils neue Genehmigungsverfahren erforderlich wären. Nichtsdestotrotz sind diese Themen von zentraler Relevanz für die Bildung in der Grundschule. Daher bleibt für uns als Projektmitarbeiterinnen vorerst nur die Möglichkeit, uns weiterhin intensiv der Öffentlichkeitsarbeit zu widmen, um weitere Studienteilnehmer*innen zu gewinnen und das Angebot den wenigen, aber zum Glück interessierten Teilnehmenden zur Verfügung zu stellen. Dass sich dies lohnt, zeigt sich in der positiven Resonanz und Wertschätzung der Teilnehmenden. Für die Zukunft ist nach Abschluss der Forschung eine Veröffentlichung der Formate und Inhalte für alle Interessierten geplant. ____________________________________________________________________ Asen-Molz, K., Gößinger, C., & Rank, A. (2020): Im Tandem politische Medienbildung stärken. In: Kaspar, K.; Becker-Mrotzek, M. Hofhues, S.; König, J. & Schmeinck, D. (Hrsg.): Bildung, Schule, Digitalisierung. Waxmann, 278–283. Online abrufbar unter: https://elibrary.utb.de/doi/epdf/10.31244/9783830992462
Frei, M., Asen-Molz, K., Hilbert, S., Schilcher, A. & Krauss, S. (2020): Die Wirksamkeit von Erklärvideos im Rahmen der Methode Flipped Classroom. In: K. Kaspar, M. Becker-Mrotzek, S. Hofhues, J. König, & D. Schmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule, Digitalisierung (S. 284–290). Münster: Waxmann. Online abrufbar unter: https://elibrary.utb.de/doi/epdf/10.31244/9783830992462
Wenzel & Asen-Molz, i.V.: In: Schmeinck, D.; Michalik, K.; Goll, T. (Hrsg.). Herausforderungen und Zukunftsperspektiven für den Sachunterricht. Klinkhardt.
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