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Liebe LeserInnen,

nach unserem Sondernewsletter vor zwei Wochen melden wir uns heute mit unserem regulären Newsletter für den Monat März zurück. Mitgebracht haben wir einige Neuigkeiten: einen neu veröffentlichten Artikel aus dem UBTB-Team, eine Weiterbildung zum ECHT-DABEI Coach, eine spannende Leseempfehlung aus den USA, zwei interessante Online-Veranstaltungen im April und Mai sowie einen Gastkommentar zur Anton Lern-App von Heike Deckert-Peaceman und Gerold Scholz.

Über Rückmeldungen und Anregungen freuen wir uns wie immer und wünschen Ihnen bis dahin viel Spaß beim Lesen!

Herzliche Grüße,

Ihr UBTB-Team

Aktuelles bei UBTB

Lesetipp: Neuveröffentlichung aus dem UBTB-Team

„Wie reflektieren Schülerinnen und Schüler darüber, dass sie sich, bspw. mit ihren Beiträgen, bewusst oder unbewusst an leistungsstarken Mitschülerinnen und Mitschülern orientieren? Verbinden sie das Beobachten und Beobachtet-Werden mit ihrem gegenseitigen Beobachten in den sozialen Medien? Wie verändert das die Haltung zum schulischen Wissenserwerb? Was denken pädagogische Professionelle über die Vorstrukturierung ihrer Ordnungsmöglichkeit durch externe Anbietende? Und braucht es eine Systematik der kollektiven Dateninfrastrukturen im Bildungsbereich sowie Analysen von deren Wirkungsweisen und Formatierungen?“.

Diese spannenden Fragen behandelt der neue Artikel von UBTB-Mitglied Sieglinde Jornitz gemeinsam mit Felicitas Macgilchrist. Der Artikel „Datafizierte Sichtbarkeiten. Vom Panopticum zum Panspectron in der schulischen Praxis" widmet sich den grundsätzlichen Ambivalenzen, von denen Datenpraktiken in der Schule durchzogen sind. Die beiden Autorinnen nutzen hierfür die Metapher der Sichtbarkeit. Sie zeigen eine dreifache Verschiebung der Sichtbarkeit, wenn digitale Datentechnologien im Unterricht eingesetzt werden, die mit den Begriffen Panopticon, Panperspicon und Panspectron beschrieben werden. Zudem zeigt der Text am Beispiel Padlet, was es bewirkt, wenn die Cookies der Website ausgeschaltet werden. Der Text ist online frei zugänglich.

ECHT DABEI Coach

Weiterbildung startet im Juni 2022 –
Bewerbungen bis 24. April möglich

Das bundesweit umgesetzte Präventionsprogramm "ECHT DABEI - gesund groß werden im digitalen Zeitalter" hat eine wachsende Nachfrage in Kitas und Grundschulen und bildet daher ab Juni 2022 neue Multiplikatoren weiter. Bevorzugt werden Personen aus Regionen im Norden und Osten von Deutschland, wo es bisher keine oder wenige ECHT DABEI Coaches gibt. Alle Details finden sich hier.

Ressourcen & Empfehlungen
Einblicke in die Produktion von Machine Learning-Datensets
Neuer Artikel: On the genealogy of machine learning datasets: A critical history of ImageNet
Hier geht es zum Artikel

Beeindruckt hat uns eine tolle Arbeit von Kolleginnen und Kollegen aus den USA, welche die „Datenarbeit“ hinter der Produktion von Machine Learning genauer unter die Lupe genommen hat, konkret am Beispiel der größten globalen Bilderdatenbank im Netz: ImageNet. Der Artikel der ForscherInnen Denton, Hanna, Amironesei, Smart und Nicole zeigt sehr anschaulich, an welchen Stellen über vermeintlich kleine Entscheidungen folgenschwere Wirkungen für die Modellierung der Datenbank und damit für die erzeugte „Sichtbarkeit“ von Welt entstehen. Auch weist der Beitrag auf eine bislang noch extrem unterschätzte Praktik beim Erstellen von Machine Learning-Datensets hin: unbezahlte crowdwork. Der Artikel ist online frei zugänglich.

Veranstaltungen

Onlinetagung "Digital Education Governance beyond international comparative assessment: complex histories, contested presents, and contingent futures"

Hinweisen möchten wir Sie auf eine Onlinetagung, die Ben Williamson (University of Edinburgh) zusammen mit Barbara Hof (Universität Zürich) vom 25.-26. Mai 2022 ausrichtet. Es wird ein reichhaltiges Programm geboten mit unterschiedlichsten Einblicken in die internationale Datafizierungs- und Algorithmisierungsforschung. Anmeldungsoptionen sowie weitere Informationen sind auf der Website der Edinburgh University verfügbar.

Online-Diskussionsreihe zu Critical Data Literacy startet

Unser Kooperationspartner, das internationale Forschungsnetzwerk "Critical Big Data and Algorithmic Literacy Network“, startet im April mit einer neuen monatlichen Diskussionsreihe zum Thema Critical Data Literacy. In jeder Veranstaltung der englischsprachigen Diskussionsreihe gibt ein Mitglied des Netzwerks einen kurzen, ca. zehnminütigen Input. Dies kann ein Einblick in aktuelle Forschungsergebnisse sein, ein Gedankenanstoß zu einer kontroversen Fragestellung oder eine allgemeine Perspektive auf die Debatte darum, wie eine kritische Bildung über Daten aussehen kann. Danach sind die Zuhörenden dazu eingeladen, Fragen zu stellen und sich an der Diskussion zu beteiligen.
Die Diskussionsreihe findet einmal monatlich am Donnerstagnachmittag statt und startet am 7. April um 15:00 mit einem Beitrag von Prof. Dr. Karsten Lübke zum Thema "Thinking Beyond Data - Confounding and Bias as Topics for Data Literacy Education“. Weitere Informationen sowie den Zugangslink erhalten Sie auf der Website des Netzwerks.

Gastkommentar von Heike Deckert-Peaceman und Gerold Scholz

Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg. Prof. Dr. Gerold Scholz ist emeritierter Professor am Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe der Goethe Universität Frankfurt.

Anton Lern-App: Gelehrt werden bestenfalls Wörter, aber keine Begriffe

Anton ist eine Lern-App, die mit Beginn der teilweisen Schulschließungen ab dem Frühjahr 2019 eine große Bedeutung im Schulalltag gewonnen hat. Von der EU mitfinanziert, politisch vielfach beworben und von einschlägigen Lobbygruppen und Lehrerorganisationen positiv besprochen, gehört sie vermutlich zu den am häufigsten verwendeten Lern-Apps.
Sie enthält Aufgaben und Übungen für eine Reihe von Fächern vom 1. bis zum 10. Schuljahr.
Die Aufgabentypen der Vorlagen lassen sich in sechs Gruppen einteilen:

  • Auswahlaufgaben (Multiple Choice, Lückentext, Markieren im Text, Wer wird Millionär)
  • Zuordnungsaufgaben (Paare zuordnen, Zuordnung auf Bildern, Zuordnung auf Landkarte, Gruppenzuordnung usw.)
  • Sequenzaufgaben (Sequenz bzw. Ordnung, Zahlenstrahl)
  • Schreibaufgaben (Lückentext mit Eingabe, Quiz mit Eingabe, Kreuzworträtsel, Hangman, Tabelle ausfüllen)
  • Mehrspieleraufgaben (Order Challenge, Schätzen, Wo liegt was?, Mehrspieler-Quiz)
  • Werkzeuge (App Matrix, Audio/Video mit Einblendung, Chat, Gemeinsames Schreiben, Kalender, Mindmap, Notizbuch, Pinnwand).¹

Wir sind in einem demnächst erscheinenden Buchbeitrag² u.a. zwei Fragen nachgegangen. Erstens: Welches Verständnis von Wissen vermitteln die Aufgaben und in welcher didaktischen Tradition steht dieses Wissensverständnis?
Da es nicht möglich war, alle Fächer und Jahrgangsstufen zu analysieren, haben wir eine genaue Analyse des Faches Sachunterricht im 1. Schuljahr vorgenommen und dort jeden einzelnen Schritt des Programmes zum Themenbereich „Wasser“ betrachtet. Die dort gewonnenen Eindrücke wurden an anderen Fächern und Jahrgängen selektiv überprüft.
In einem zweiten Schritt wurden die Aufgabentypen von Anton mit Aufgabentypen von Schulbüchern seit 1995 zum Thema Wasser für das 1. Schuljahr verglichen.

Welches Verständnis von Wissen vermittelt das Programm
Trotz der scheinbar großen Zahl unterschiedlicher Formate ist Anton nicht interaktiv. Die App erlaubt kein selbstorganisiertes Lernen, keine Selbstbestimmung und auch kaum eine Selbstkontrolle des Gelernten. Die Aufgaben trainieren, Zuordnungen vorzunehmen, ohne die Ordnungen zu erläutern. Am deutlichsten wird dies bei „Click and Drop“ Aufgaben.
Die wesentliche Tätigkeit der Kinder besteht darin, mit der Maus auf ein Bild oder ein Wort zu klicken oder das Bild oder das Wort mithilfe der Computermaus zu verschieben. Das Programm lässt nur „Ja“ oder „Nein“ zu. Rückmeldungen gibt es so wenig wie Schleifen, in denen z.B. „Fehler“  aufgegriffen und die zutreffende Lösung erläutert wird.  Das Prinzip „click and drop“ rahmt die Aufgabe so, dass es unwichtig wird, was falsch oder richtig ist; wichtig wird vor allem voranzukommen, damit das Programm die nächste Seite aufruft.
Gelehrt werden, im besten Fall, Wörter, aber keine Begriffe. Eine der wesentlichen Gründe liegt darin, dass die Aufgaben nichts mit dem Leben, Denken, Wissen oder Fühlen der Kinder zu tun haben.
Das Programm bietet jeweils am Ende einer Einheit einen Test an. Tatsächlich sind diese Tests eigentlich überflüssig, denn die Geschwindigkeit und Richtigkeit der Bearbeitung der einzelnen Aufgaben durch die Schüler*innen wird sekundengenau vom Programm aufgezeichnet. Diese Daten werden den Lehrenden zur Verfügung gestellt.
Die Schüler*innen werden durch das Versprechen, nach Erledigung der Aufgaben Spiele spielen zu dürfen, motivational an das Programm gebunden. Die vermeintlich „spielerische“ Rahmung der Aufgaben blockiert die Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff zugunsten der Erhebung von Daten, die es den Lehrenden ermöglichen, die Schüler*innen in Rangreihen zu sortieren.
Die Auswahl der Aufgaben ist weder pädagogisch noch didaktisch begründet und erscheint eher zufällig.  Das Programm, erstellt von Werkstudent*innen, trennt Lernen von seinem Sinn- und Bildungsgehalt und von seinem Emanzipationsanspruch.

Der Vergleich mit älteren Schulbüchern zum gleichen Thema
Wir haben 5 Sachunterrichtsbücher für das 1. Schuljahr zum Thema „Wasser“ aus den Jahren 1995, 1998, 2009, 2013 und 2017 genauer in den Blick genommen. Dabei erkennen wir eine Entwicklung in den Aufgabenstellungen, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Lern-App Anton findet. Deutlich wird eine kontinuierliche Entwicklung der letzten Jahre hin zu einer didaktischen Orientierung an reproduzierbarem Wissen ohne Bezug zur Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen. Während das älteste Schulbuch, (1995), die Kinder auffordert, sich gemeinsam mit dem auseinanderzusetzen, was sie mit Wasser erfahren haben und damit versucht, die Bedeutung von Sachzusammenhängen zu vermitteln, zeigt gerade das jüngste Beispiel (2017), dass es fast nur noch darum geht, vorgegebene Interpretationen zu übernehmen. Hier schließt die Lern-App Anton an und führt es weiter.

¹ https://de.wikipedia.org/wiki/LearningApps
² Deckert- Peaceman, Heike/Scholz, Gerold: Individualisierung und Distanzunterricht in der Grundschule - am Beispiel der Lernplattform Anton. Im Erscheinen.

UNBLACK THE BOX ist eine im Jahr 2019 gegründete Netzwerkinitiative zum Thema Critical Data Literacy. Unser Impressum und unsere Datenschutzerklärung finden sich auf unserer Website.
Wir freuen uns über Anregungen, Hinweise oder Feedback zum Newsletter an info@unblackthebox.org.

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